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#19: Wie lange hältst du an einer Entscheidung fest?

By 2023-03-24März 26th, 2023No Comments

Nur weil dir ein Coach sagt, dass im ABC der Freiheit das C für Commitment steht, heißt das nicht, dass du deine Richtung nicht ändern darfst.

Ganz im Gegenteil: Du sollst auch immer mal aus der Beobachterperspektive auf dein Leben schauen und dich fragen, ob dein Weg noch der richtige ist.

Deshalb steht das A für Ausmisten. Um dich zu festzulegen, musst du andere Dinge loslassen.

Ein ja zu etwas ist auch immer ein nein zu etwas anderem.

Vielleicht warst du eines dieser Kinder, die sich jede Woche für etwas neues interessieren. Neugierde ist super, Ausprobieren gehört zum Leben. Doch nach dem 42. neuen Hobby in genauso vielen Wochen (mit all der neuen, teuren Ausrüstung) haben deine Eltern vielleicht gesagt: „Es reicht! Du musst dich jetzt entscheiden.“

Das meine ich mit Commitment: festlegen und durchziehen – einen Monat, ein Jahr, zehn Jahre.

Am Anfang ist die Begeisterung, sie treibt dich die Lernkurve hinauf. Es ist wie verliebt zu sein.

So war es als ich Russisch gelernt habe. Das kyrillische Alphabet flog mir praktisch zu weil ich in meiner kindlichen Faszination für die Astronomie das griechische Alphabet gelernt hatte – die beiden sind sich sehr ähnlich. Dann gab es die einfach verständlichen Lehnwörter: riuksak ist der Rucksack, piuree das Kartoffelpüree und es gibt in Russland tatsächlich den Schlagbaum (Betonung auf der zweiten Silbe)! Du kannst dir vorstellen, dass mit solch schnellen Erfolgen das Lernen Spaß gemacht hat.

Mit so viel Motivation konnte ich die immer anspruchsvoller werdenden Satzkonstruktionen gut bewältigen, doch dann verschwand die große, treibende Kraft für den Wunsch, die Sprache zu lernen. Endlich veröffentlichte die ESA wieder eine Ausschreibung für neue Astronautenkandidaten – alle Astronauten des Westens lernen Russisch – und ich war sieben Zentimeter zu groß. Obwohl ich sonst alles für die Bewerbung mitbrachte, war ich wegen dieser Banalität raus.

Zur gleichen Zeit hatte ich ein anderes Hobby, zu dem ich ebenfalls durch meinem Wunsch gekommen war, ins All zu fliegen. Um unter anspruchsvollen, für den Menschen sehr fremden Bedingungen zu trainieren, neue Welten zu erkunden und dabei perfekt im Team zusammen zu arbeiten, gehen die Astronautenkandidaten unter die Erde. Mit Kletterausrüstung, Schutzkleidung und kindlicher Begeisterung erforschen sie ausgedehnte Höhlensysteme.

Wer nicht ins All fliegt kann Höhlenforschung in den Alpenvereinen betreiben. Vom Seiltraining am Baum bei Tageslicht ging es für mich in die ersten kleinen Höhlen. Mit der Zeit wurden die Expeditionen immer extremer und gipfelten in der 15 Stunden langen Durchquerung eines Höhlensystems entlang des Verneau, einem Fluss im französischen Jura, der über eine Strecke von 12 Kilometern unter der Erde mäandert.

Es gibt Tage, da würde ich mir die Tortur gern noch einmal antun, einfach weil sie so anspruchsvoll ist. Auch die mehrtägigen Expeditionen in Kilometer tiefe Höhlensysteme der Alpen interessieren mich.

Doch bei der Höhlenforschung ist etwas anders als bei Russisch.

Die Sprache zu lernen ist eines der Dinge, die ich nicht für immer aufgegeben habe. Ich hoffe, dass ich bald wieder das Land mit dieser freundlichen, nach außen so hart wirkenden aber im Kern so herzlichen Bevölkerung bereise.

In Klettermontur unter der Erde sehe ich mich dagegen nicht mehr.

Ich bin voller Dankbarkeit für die einmaligen Erlebnisse und ein Teamgefühl, wie ich es im Cockpit noch nie erlebt habe. Die Fliegerei ist sehr fehlertolerant, sie muss es sein. Die Höhle verzeiht dir wesentlich weniger. Zu spüren, wie meine Kameraden für mich da sind und ich für sie, hat mein Leben nachhaltig verändert.

Und trotzdem: Mein Herz ist nicht mehr in der Höhle. Ich weiß, dass das nicht mehr meine Welt ist.

In meiner Entscheidungsfindung war ich immer sehr verkopft, im Cockpit muss ich es sein (mit wenigen Ausnahmen: über Bauchgefühl und Intuition habe ich bereits geschrieben). Doch ich habe gelernt, tief in mich hinein zu fühlen.

Antoine de Saint-Exupéry schrieb in Der kleine Prinz: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Dort liegt für mich die Antwort auf die Frage nach dem Loslassen.

Dein Herz ist der Schlüssel zur Freiheit!

#machdichfrei

Dein Ulrich

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