Samstag, 11 Uhr. Ich bin gerade vom Nachtflug aus Dallas zurückgekommen, auf dem ich in meiner Pause zwei Stunden geschlafen habe. Das muss reichen. Wenn ich mich jetzt hinlege, schlafe ich bis heute Abend und mein Biorhythmus ist vollkommen im Arsch.
Also mache ich, was jeder gute Deutsche am Samstag macht, wenn er nicht sein Auto wäscht: Gartenarbeit. Mein Nachbar ist schon dabei, den Rasen zu mähen. Fährst du in ein Neubaugebiet, wiederholt sich das Bild mit leichten Abwandlungen hundertfach nebeneinander, wie ein Kaleidoskop der Spießigkeit.
Meinen Garten habe ich bewusst so angelegt, dass er langfristig sehr wenig Pflege benötigt: ein Naturgarten mit gerade so viel Struktur, dass er gut zur zeitgemäßen Architektur passt und einen fließenden Übergang zur wilden Natur am Rande des zivilisierten Wohngebiets bildet.
Doch wenn ich dafür die gezüchteten Pflanzen aus der Baumschule in die Beete einsetze und das, was wild aufgeht, unter der Bezeichnung “Unkraut” in mühsamer Handarbeit aus dem Boden ziehe, hinterfrage ich den Sinn des Unterfangens.
Es gibt Gärten, die sind wahre Kunstwerke. Über Generationen angelegt und gepflegt, sind sie beeindruckende Zeugnisse einer Symbiose von vorausschauendem Handeln, Lenkung der Natur und Ästhetik. Ein paar wenige Privatgärten stehen ihnen in fast nichts nach, so auch der meiner Mutter.
Doch muss das jeder auf seiner eigenen, kleinen Parzelle nachahmen? Wieso haben wir diesen starken Drang, uns die Natur zu unterwerfen? Der Vater einer Freundin aus Jugendzeiten ging sogar über seinen Rasen und entfernte daraus “Fremdgras” – jeden Halm, der nicht der bevorzugten Art entsprach. Hortikultureller Rassismus.
Auch die US-Amerikaner haben einen Hang zum perfekten Rasen. Doch wie so oft sind sie uns etwas voraus, denn in den USA gibt es bereits die Gegenbewegung: Grow Food Not Lawns.
Anstoß für diese philosophischen Gedanken über Gärten war die Erinnerung daran, wie ich mir beim Hausbau überlegte, einen Campervan zu kaufen. Ich wollte schon länger an Stelle meines Pkw mit Dachzelt ein größeres Reisemobil und dachte, jetzt wäre dafür ein guter Zeitpunkt. Ich hätte meine Wohnung früher kündigen und mit dem Van auf meinem Grundstück stehen können, um beim Bau immer vor Ort zu sein, Fragen zu beantworten und Fehler frühzeitig zu korrigieren.
Waren es wirklich diese Vernunftgründe, die hinter meinem Wunsch standen? Mein Gefühl sagt mir: Schon damals wollte ich gern minimalistisch auf kleinem Wohnraum in wilder Natur leben. Ich dachte, es wäre solange Haus und Garten noch nicht fertig sind. Heute weiß ich: Ich wollte ich es stattdessen.
Dein Unterbewusstsein spricht ständig mit dir, aber seine Worte sind leise und der Sinn findet sich oft zwischen den Zeilen. Du musst genau hinhören.
Folgst du deiner Natur? Lässt du ihr freien Lauf? Oder erzwingst du im Leben Dinge, die nicht sein wollen – so, wie ich es nicht lassen kann, Jahr für Jahr zu versuchen, mediterrane Pflanzen im rauen Mittelgebirgsklima anzubauen? Eine Zeit lang geht das gut, bis ich kurz nicht aufpasse und der Frost meine Bemühungen erfrieren lässt.
Wenn dein Unterbewusstsein leise anklopft, hör hin, lass es ausreden und folge seinem Ruf.
Wenn du einen Garten hast, lass den Rasen imperfekt sein und das Unkraut – das der Biogärtner lieber Beikraut nennt – groß werden um zu sehen, ob es nicht doch eine schöne (und dem Standort angepasste!) Pflanze wird. Willst du lieber Rosmarin und Zitronen in deinem Leben haben, dann richte es an einem Ort ein, wo sie natürlich wachsen!
#machdichfrei
Dein Ulrich
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